Die MS ist keine Erbkrankheit in dem Sinn, dass eine zwangsläufige Übertragung von einem Elternteil auf Kinder mit wahrscheinlichem Auftreten der Krankheit bei diesen erfolgt. Etwa jeder fünfte MS-Betroffene hat blutsverwandte Angehörige, die ebenfalls an MS leiden oder litten. Auch wenn bis heute nicht bekannt ist, welche Chromosomen und Gene beteiligt sind, mehren sich die Hinweise, dass erbliche Einflüsse bei der MS eine nennenswerte Rolle spielen. Dabei spielen nicht nur Gene eine Rolle, die noch nicht näher bekannte »»Empfänglichkeits«-Anlagen übertragen und so eine MS begünstigen können, sondern auch Erbanlagen, die vor einer MS schützen. Insofern wird eine erbliche Beeinflussung der so genannten Prädisposition für eine MS als gesichert angesehen. Allerdings erfolgt dies in einem komplizierten Zusammenspiel verschiedener Chromosomen und Gene, die ganz unterschiedlich an der Begünstigung oder Verhinderung der Erkrankung beteiligt sind.

Für eine vererbbare Reaktionsbereitschaft des Abwehrsystems spricht unter anderem die Beobachtung bestimmter immunologischer Merkmale der weißen Blutkörperchen von MS-Patienten (so genannte HLA-Typisierung mit Häufung der Merkmale A3, B7 und Dr15). So findet sich das HLA-Merkmal Dr15 bei etwa 65 Prozent der MS-Patienten gegenüber nur etwa 35 Prozent in der gesunden Allgemeinbevölkerung und ist mit einem frühen Erkrankungsalter verbunden. Umgekehrt sind einige HLAMerkmale (Dr1, Dr4, Dr9, Dr12, Dr13 und Dr14) bei Menschen mit einer MS etwas seltener als bei gesunden Kontrollpersonen.

Je ähnlicher die Erbanlagen von zwei Menschen sind, desto ähnlicher ist ihre Erkrankungswahrscheinlichkeit für eine MS. Das normale, durchschnittliche Erkrankungsrisiko von 0,05 bis 0,1 Prozent steigt bei dem seltenen Fall eines an MS erkrankten eineiigen Zwillings für den anderen Zwilling auf etwa 25 bis 35 Prozent, während es sich bei zweieiigen Zwillingen nicht von denjenigen anderer Geschwister unterscheidet. Diese haben ebenso wie Kinder von MS-Patienten rechnerisch zwar ein höheres Risiko, selbst dieses ist aber mit höchstens 1 : 15 (= sechs Prozent) relativ gering und bedeutet, dass Geschwister und Kinder mit etwa 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit nicht an MS erkranken. Dabei hat sich auch gezeigt, dass bei Kindern offenbar nur für Töchter ein erhöhtes Vererbungsrisiko besteht. Interessanterweise binden die bereits erwähnten Superantigene ganz spezifisch an bestimmte HLA-Typen, sodass die HLA-Assoziation der MS auch mit dieser Hypothese vereinbar ist.

Insgesamt sind also auch nahe Angehörige mit einem unterschiedlichen Erkrankungsrisiko überzufällig häufig von einer MS betroffen. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass die Art des Beginns einer MS innerhalb einer Familie bei mehreren betroffenen Mitgliedern zwar meist unterschiedlich ist, es aber im weiteren Verlauf immer mehr zu Ähnlichkeiten bis hin zu Art und Ausmaß möglicher Behinderungen kommt. Wenn in einer Familie einmal zwei oder mehr Mitglieder an MS erkranken, ist aber auch zu bedenken, dass die Familienmitglieder üblicherweise denselben oder ähnlichen Umwelteinflüssen ausgesetzt sind. Wenn man Erbanlagen und Umwelteinflüsse gegeneinander abwägt, lässt es sich im Einzelfall meist nicht entscheiden, was überwiegend zum Entstehen der Erkrankung beigetragen hat. Untersuchungen an Adoptivkindern und Halbgeschwistern lassen allerdings vermuten, dass genetische Faktoren wichtiger sind als Umwelteinflüsse.