Auch bei Schmerzen glaubte man lange Zeit, sie seien bei MS vergleichsweise selten beziehungsweise in den meisten Fällen zumindest kein führendes Krankheitszeichen. Inzwischen weiß man, dass es bei mehr als der Hälfte der Betroffenen zu schmerzhaften Beschwerden kommt. Dabei handelt es sich überwiegend um chronische, lang anhaltende Schmerzen; bei etwa jedem zehnten Betroffenen kommt es aber auch zu urplötzlich auftretenden und sehr kurz dauernden (paroxysmalen) Schmerz attacken.
So tritt bei zirka fünf Prozent der MS-Patienten im Verlauf der Krankheit eine Trigeminusneuralgie auf. Dabei handelt es sich um einen scharfen (»als ob ein Messer eingestochen würde«), schlagartig auftretenden Schmerz meist einer Gesichtshälfte, der in der Regel die Kinn- und Wangenregion betrifft, aber auch in der Stirn vorhanden sein kann. Die einzelnen Schmerzattacken halten zwar nur Sekunden an, oft folgen aber Salven von Schmerzattacken so rasch aufeinander, dass sie von manchen Betroffenen kaum noch auseinander gehalten werden können und eher als Dauerschmerz empfunden werden. Ursache der Trigeminusneuralgie bei MS ist ein Plaque im Verlauf des fünften Hirnnerven (= Nervus trigelminus) im Hirnstamm.
Beim Lhermitte-Zeichen handelt es sich um ein nach dem gleichnamigen französischen Arzt benanntes Nackenbeugezeichen, das bei MS infolge entzündlicher Veränderungen des Rückenmarks im Halsbereich vorkommt. Bei aktiver oder passiver Nackenbeugung tritt entlang der Wirbelsäule und manchmal auch über die Schultern in die Arme ein »einschießendes«, elektrisierendes Kribbelgefühl auf, das zwar meist unangenehm, aber nicht immer direkt schmerzhaft ist. Es kann außer bei MS auch bei vielen anderen Erkrankungen wie zum Beispiel Tumoren oder auch nach Verletzungen des Rückenmarks beobachtet werden.
Zu den so genannten neurogenen Schmerzen zählen bei einer MS in erster Linie unangenehme und mitunter schmerzhafte Wahrnehmungen von Berührungs- oder Temperaturreizen (in der Fachsprache: Dysästhesien) in den Beinen. Chronische Schmerzen bei MS beruhen meist auf einer Schädigung des Rückenmarks und werden oft als Brennen oder auch Ziehen in den Beinen und besonders Füßen mit besonderer Betonung während der Nacht geschildert. So genannte neuritische Schmerzen haben meist brennenden, kribbelnden Charakter und können mit einem Tic-artigen, plötzlichen Zusammenziehen von Muskeln einhergehen.
Tonische Hirnstammanfälle bestehen in schmerzhaften Verkrampfungen einer Körperseite, bei denen es isoliert oder in Verbindung mit anderen Schmerzen zunächst zu einer schmerzhaften Verkrampfung der Handmuskeln kommt, die dann von einer ebenfalls schmerzhaften Beugung im Ellenbogen und Hochziehen der Schulter sowie unter Umständen gleichartigen Beschwerden im Bein derselben Körperhälfte begleitet werden. Die Ursache besteht wie bei anderen zentralen Schmerzen bei MS in durch Entmarkungsherde fehlgeleiteten Nervenimpulsen im Hirnstamm.
Auf die bewegungsabhängigen Augenschmerzen beziehungsweise Schmerzen hinter den Augäpfeln bei Sehnervenentzündungen wurde bereits hingewiesen .Manchmal sind diese für die Betroffenen sogar belastender als die Minderung der Sehkraft. Häufig ist der Schmerz aber mehr hintergründig, wenngleich lästig und unangenehm und geht schon wieder zurück, bevor sich das Sehvermögen wieder bessert. Schmerzhafte Spasmen der Blasen- oder sonstigen Muskulatur sind ebenfalls recht häufig.
Viele MS-Patienten haben nicht zuletzt auch mit Schmerzen zu tun, die nur mittelbar (z. B. durch Fehlhaltungen und -belastungen bei Spastik und Paresen oder durch Blasen-, Lungen- oder Rippenfellentzündungen) oder nicht mit ihrer Grundkrankheit zusammenhängen. Auch MS-Kranke können Migräne oder andere chronische Kopfschmerzen haben, müssen mit einem alters- und abnutzungs bedingten Gelenk- und Wirbelsäulenverschleiß rechnen, und Magen-Darm-Beschwerden oder Gallen- und Nierenkoliken sind bei ihnen nicht seltener als bei Menschen ohne MS.