Als Hirnnerven werden zwölf Nervenpaare bezeichnet, die jeweils auf den bei den Seiten des Gehirns durch verschiedene Öffnungen des knöchernen Schädels austreten und vorwiegend Kopf und Hals versorgen. Einige mögliche Störungen einzelner Hirnnerven wurden bereits in den früheren Abschnitten besprochen, so die den Nervus opticus (Sehnerv; zweiter Hirnnerv) betreffende Optikusneuritis, die Augenbewegungsstörungen und die den Nervus trigeminus (Gefühls- und Kaunerv für das Gesicht; fünfter Hirnnerv) betreffende Trigeminusneuralgie .Auch die Funktion anderer Hirnnerven kann bei einer MS gestört sein. Besonders rasch macht sich dies zum Beispiel an den vergleichsweise kleinen und feinen Augenmuskeln bemerkbar, bei denen schon leichtere Funktionsstörungen mit Verlust der normalerweise völlig seitengleichen und aufeinander abgestimmten Augenbewegungen zu Doppelbildern führen. Die Bewegungen jedes Auges werden durch die drei Hirnnerven (Nervus oculomotorius, Nervus trochlearis und Nervus abducens) gesteuert, die jeweils für verschiedene Augenmuskeln zuständig sind. Die häufigsten Augenbewegungsstörungen beruhen allerdings nicht auf einer Schädigung einzelner dieser drei Hirnnerven, sondern sind meist Folge einer Störung in der Verschaltung der Augenbewegungen im Hirnstamm mit einer so genannten internukleären Ophthalmoplegie.
Den für das Hören verantwortlichen Teil des achten Hirnnerven (Nervus stato-acusticus) betreffende Störungen können eine Ohrenerkrankung vortäuschen. Meist handelt es sich um vergleichsweise gering ausgeprägte Hörminderungen, darüber hinaus sind aber auch ein- oder beidseitige starke Beeinträchtigungen bis hin zur Ertaubung möglich.
Daneben sind auch in der Fachsprache als»zentrale Hyperakusis« beziehungsweise als »zentrale Phonophobie« bezeichnete Hörstörungen möglich, bei der normale Geräusche, Stimmen oder sonstige Töne als unangenehm laut oder sogar schmerzhafte Missempfindungen hervorrufend empfunden werden. So können Betroffene über durch Klingeln eines Telefons ausgelöste einschießende Wangenschmerzen, über ein abnormes »Echohören« oder auch über eine Störung des Richtungshörens klagen. Bei der Untersuchung durch den Hals-, Nasen-, Ohrenarzt fällt meist nichts besonderes auf, auch die dort erhobenen Hörtests (Audiogramme) sind oft normal. Ursächlich liegt eine Schädigung im Hirnstamm vor, die sich durch akustisch evozierte Potenziale oder die Magnetresonanztomographie nachweisen lässt.
Andere mögliche Hirnnervenstörungen bei MS bestehen zum Beispiel in Schluckstörungen. Diese werden am häufigsten im Rahmen eines akuten Schubs mit Hirnstammbeteiligung oder bei chronisch-progredienten Verlaufs formen beobachtet. Die größte Gefahr besteht in Lungenentzündungen durch Verschlucken von Nahrung oder Fremdkörpern.