Nein, es ist geradezu ein charakteristisches Merkmal der MS, dass es keine »Standardform« der Krankheit mit einheitlichem Verlauf gibt, sondern eine Vielzahl von unterschiedlichen Erscheinungsbildern und Verlaufsformen. Überspitzt ausgedrückt hat jeder MS-Betroffene seine eigenen Krankheitsmerkmale und seinen eigenen Verlauf, ohne dass es bisher eine Erklärung dafür gibt, warum es bei manchen Betroffenen bei einzelnen Episoden mit kaum beeinträchtigenden und innerhalb kurzer Zeit folgenlos abklingenden Beschwerden bleibt und es auf der anderen Seite ungünstige Krankheitsverläufe mit starker Behinderung und Pflegeabhängigkeit innerhalb weniger Jahre gibt.

Wenn es nur zu einem oder einigen kurz dauernden Krankheitsschüben mit vollständiger oder zumindest weitgehender Remission (Rückbildung) der Beschwerden kommt, spricht man von einem benignen (gutartigen) Verlauf. Betroffene Patienten weisen auch zehn jahre nach DiagnosesteIlung noch keinerlei nennenswerte Behinderung auf . Allerdings ist es leider möglich, dass es auch nach mehr als zehn Jahren doch noch zu erneuten Störungen mit dann unter Umständen zunehmender Behinderung kommt. Umgekehrt spricht man bei rasch zunehmenden Krankheitszeichen mit schwerwiegender Behinderung oder sogar Tod innerhalb relativ kurzer Zeit von einem malignen (bösartigen) Verlauf.
Die häufigste Verlaufsform bei etwas mehr als jedem zweiten Betroffenen ist anfangs (primär) schubförmig und später (sekundär) chronisch-progredient. Dabei kommt es schließlich auch zwischen den Schüben zu einer Verschlechterung, oder es lassen sich überhaupt keine Schübe mehr abgrenzen . Bei mehreren Schüben, die sich jeweils vollständig oder teilweise zurückbilden, spricht man von einem schubförmigen oder rezidivierend-remittierenden Verlauf. Dieser ist bei etwa 20 Prozent der Betroffenen zu beobachten, wobei bei drei Viertel innerhalb von fünf Jahren ein neuer Schub zu erwarten ist und es zwischen den Schüben nicht zu einer Verschlechterung kommt. Etwa jeder fünfte Betroffene hat von Anfang an zunehmende (chronisch-progrediente) Beschwerden, die jedoch von »aufgesetzten« Schüben mit vollständiger oder teilweiser Rückbildung überlagert werden. Bei etwa zehn Prozent kommt es von Anfang an zu einem als chronisch-progredient bezeichneten Verlauf mit mehr oder weniger stetiger Zunahme der Beschwerden ohne Schübe.

Für einen günstigen Verlauf sprechen ein Beginn mit Gefühls- oder Sehstörungen als Erstsymptome, eine vollständige Rückbildung (Remission) der Beschwerden und eine fehlende Behinderung nach fünf Jahren. Umgekehrt sind Lähmungserscheinungen, insbesondere im Zusammenhang mit Gang- und Gleichgewichtsstörungen, als Erstsymptom mit bereits anfanglich bleibenden Ausfallen Hinweis auf einen weniger günstigen Verlauf. Die Schubfrequenz ist im Durchschnitt umso höher, je niedriger das Alter bei Krankheitsbeginn ist. Es ist unmöglich, den Verlauf einer MS auch nur annähernd zuverlässig vorherzusagen. Gerade in der “Unvorhersagbarkeit”dessen,was auf einen besteht ein besonderes belastendes und verunsicherndes Merkmal der Krankheit.

Im Allgemeinen kann aber davon ausgegangen werden, dass der durchnittliche Krankheitsverlauf günstiger ist als häufig angenommen oder in vielen »Arztbüchern« zu lesen ist.