Ein Schub ist ein typisches Verlaufsmerkmal einer MS und tritt bei 80 bis 85 Prozent der Betroffenen mindestens einmal auf. Von einem MS-Schub wird vereinbarungsgemäß dann gesprochen, wenn sich – ohne Fieber oder Hinweise auf eine Entzündung – neue oder erneut aufgetretene Krankheitszeichen innerhalb von Stunden oder Tagen entwickeln, länger als 24 Stunden anhalten und mit einem Abstand von mindestens einem Monat vom letzten Schub auftreten. Bei einem Schub kommt es zu einem oder mehreren neuen Herden beziehungsweise zu einer erneuten Aktivierung schon früher aufgetretener Plaques , die zwischenzeitlich keine Beschwerden mehr hervorgerufen haben.

Die durch einen Schub hervorgerufenen Störungen können so schwach sein, dass sie nur die Betroffenen selbst empfinden (z. B. Kribbeln in einem Bein, ohne dass der Arzt bei der körperlichen Untersuchung etwas finden kann); oder sie können früher einmal bestanden haben und jetzt nicht mehr nachweisbar sein (z. B. vor Jahren für wenige Tage bestehende Doppelbilder, die für harmlos gehalten wurden und nicht zu einem Arztbesuch führten). Die Abgrenzung gegenüber Pseudoschüben oder kurz dauernden Verschlimmerungen , zum Beispiel nach starken Belastungen, kann wegen der zum Teil fließenden Übergänge schwierig sein. Ein Schub tritt aber praktisch nie plötzlich beziehungsweise von einer Sekunde auf die andere auf.

Bei einem Schub entwickeln sich während Tagen oder Wochen meist neue entzündliche Herde im ZNS, und die Leitung der elektrischen Erregung in den betroffenen Nervenfasern ist gestört . Im Nervenwasser finden sich in dieser Zeit meist Entzündungszeichen und bei der Magnetresonanztomographie Herde oder eine Größenzunahme bekannter Herde . Die mit einem Schub einhergehenden Beschwerden halten in der Regel einige Wochen bis Monate an, bevor sie sich meist – auch von alleine! – wieder verlieren. Vor allem nach den ersten Schüben bilden sich die Beschwerden fast immer wieder vollständig zurück. Je länger eine MS besteht, desto wahrscheinlicher bleibt ein Teil der Beschwerden bestehen.
Was zwischen den Schüben im Nervensystem abläuft, ist bis heute noch nicht genau bekannt. Inzwischen weiß man aber, dass die Schübe bei einer MS nur einen Bruchteil der eigentlichen Krankheitsaktivität widerspiegeln. Häufig ist auch in der Zeit zwischen den Schüben eine nennenswerte Krankheitsaktivität vorhanden beziehungsweise die entzündlichen Vorgänge »köcheln auf kleiner Flamme« weiter. So zeigen sich auch schon bei vielen Betroffenen bei ihrem ersten, auf eine bestimmt Stelle des Nervensystems zu beziehenden Schub im Magnetresonanztomogramm an mehreren Stellen MS-typische Veränderungen.

Von einem Pseudoschub wird dann gesprochen, wenn kein Anhalt für eine neu aufgetretene Krankheitsaktivität der MS besteht, sondern es beispielsweise durch einen fieberhaften Infekt oder eine mit Schmerzen einhergehenden Erkrankung zu einer Zunahme der Auswirkungen vorbestehender Plaques kommt. So fühlen sich viele Betroffene während einer mit Fieber einhergehenden Krankheit nicht nur deutlich schlechter, sondern auch die körperlichen Untersuchungsbefunde sind schlechter als zuvor. Parallel zum Abklingen des Fiebers kommt es dann aber wieder zu einer Rückbildung. In ähnlicher Weise spüren viele Betroffene mit einer Spastik in den Beinen, bei einer Blasenentzündung eine Zunahme schmerzhafter Spasmen und der »Steifigkeit«.

Während es viele bekannte Ursachen und Auslöser von Pseudoschüben gibt, ist die Ursache von »echten« neuen Schüben ebenso wie die Ursache der MS überhaupt nach wie vor nicht genau bekannt. Einige Untersuchungen sprechen dafür, dass Virusentzündungen ein Auslöser sein können. Weil nicht jeder neue Entzündungsherd im ZentraInervensystem mit Beschwerden einhergeht und sich als Schub bemerkbar macht, können außerdem auch Veränderungen im Nervenwasser und bei der Magnetresonanztomographie nachgewiesen werden, ohne dass Betroffene über irgendwelche Störungen berichten.

Bei etwa 80 Prozent der Betroffenen beginnt die Erkrankung schubförmig; mit einem auch langfristig schubförmigen Verlauf ist aber nur bei etwa 20 Prozent zu rechnen. Die Häufigkeit von Schüben ist zu Beginn einer MS am größten und geht im Verlauf der Jahre meist zurück. Eine systematische Verlaufsuntersuchung bei über 100 Patienten fand zu Beginn der Erkrankung im Durchschnitt aller Betroffenen knapp zwei Schübe pro Jahr, während nach zehn Jahren nur noch weniger als ein Schub pro Jahr auftrat.