Die Liquoruntersuchung ermöglicht den Nachweis einer Entzündung des Zentralnervensystems als eine der Voraussetzungen zur Sicherung der Diagnose. Es ist bis heute nämlich nicht möglich, die Entzündung des Zentralnervensystems bei einer MS durch Blutuntersuchungen nachzuweisen. Gehirn und Rückenmark werden von etwa 250 Milliliter (= 1/4 Liter) einer wasserklaren Flüssigkeit (Nervenwasser oder »Liquor«) umspült. Täglich wird die zwei- bis dreifache Menge neu gebildet und ausgetauscht. Von daher ist es unproblematisch, einige Milliliter für eine Untersuchung zu entnehmen.
Der normale Liquor ist wasserklar. Dies ist auch bei einer MS der Fall, wo erst die mikroskopische und chemisch-immunologische Untersuchung Veränderungen der Zusammensetzung zeigt. Dazu gehört eine leichte bis mäßige Vermehrung bestimmter Zellen (= »Pleozytose«), die auch im Blut vorkommen (»Lymphozyten« bzw. »Plasmazellen«), oft in Verbindung mit einer leichten Vermehrung oder Veränderung der Eiweiße. Davon sind besonders die so genannten Immunglobuline G betroffen, von denen einzelne Arten so stark vermehrt sein können, dass sie sich bei weiterer Auftrennung der Eiweiße im Labor als »oligoklonale Banden« abheben (Abb. 39, Tab. 19). In den letzten jahren ist als weitere Untersuchungsmöglichkeit die so genannte MRZ-Reaktion hinzugekommen. Hinter dieser Abkürzung verbirgt sich der Nachweis einer im Nervensystem erfolgenden Bildung von Antikörpern gegen Masern-, Röteln- und VarizellaZoster-Viren. Sie ist typisch für Autoimmunerkrankungen des Gehirns und bei fast allen MS-Betroffenen nachweisbar.
Die beschriebenen Liquorveränderungen können unterschiedlich stark ausgeprägt sein oder völlig fehlen. Sie finden sich besonders während Schüben oder Verschlimmerungen und bilden sich meist nach einigen Wochen wieder zurüück. Sie beweisen keine MS und kommen auch bei einer Reihe anderer entzündlicher und auch nichtentzündlicher ZNS-Erkrankungen vor. Von den genannten Veränderungen im Liquor hat für die Diagnose einer MS der Nachweis von oligoklonalen Banden die höchste Wertigkeit, während eine leichte Zellzahlvermehrung (Pleozytose) das am wenigsten verlässliche Kriterium ist. Der fehlende Nachweis von oligolklonalen Banden und einer Pleozytose sollte aber in jedem Fall Anlass sein, die Verdachtsdiagnose einer MS nochmals zu überdenken. Nur etwa zwei Prozent der MS-Patienten haben weder typische Veränderungen im Liquor noch bei der Magnetresonanztomographie.
Die Häufigkeit krankhafter Liquorbefunde bei MS liegt zu Beginn einer Erkrankung bei etwa 50 Prozent und über den ganzen Verlauf bei über 95 Prozent.