Die somatosensibel evozierten Potenziale (SEP oder SSEP) überprüfen die Übermittlung von Gefühlswahrnehmungen an das Gehirn über die Nervenbahnen von Armen und Beinen sowie im Rückenmark, die durch kurze elektrische Reize an Armen oder Beinen hervorgerufen werden. Die Antwortpotenziale können sowohl über dem Wirbelkanal als auch an der Kopfoberfläche gemessen werden. Bei Verdacht auf MS werden vor allem an der Kopfhaut über den entsprechenden Hirnrindenabschnitten abgeleitete Potenziale nach gegenseitiger Reizung des Nervus medianus am Handgelenk oder des Nervus tibialis am Unterschenkel eingesetzt.
Typische SEP-Veränderungen bei der MS bestehen wie bei den anderen evozierten Potenzialen in erster Linie in Latenzverlängerungen sowie Amplitudenminderungen bis hin zum völligen Potenzialausfall als Ausdruck eines Leitungsblocks. Wahrscheinlich wegen der längeren Verlaufsstrecke im Zentralnervensystem ist die Häufigkeit krankhafter Befunde nach Reizung an den Beinen (Tibialis-SEP) höher als nach Reizung an den Armen (Medianus-SEP). Durch einen zusätzlichen Vergleich der über dem Rückenmark und Gehirn abgeleiteten Potenziale und durch zusätzliche Messung der peripheren Nervenleitgeschwindigkeit (an Armen oder Beinen) kann eine Unterscheidung bzw. Zuordnung krankhafter SEP-Veränderungen zum Gehirn oder Rückenmark erfolgen. Gelegentlich kann – auch bei Betroffenen ohne Gefühlsstörungen im Gesicht – die Ableitung von Trigeminus-SEPs sinnvoll sein.
Weil sich verlängerte SEP-Latenzen auch nach Rückbildung eines Schubes meist nicht zurückbilden und fortbestehen, geben nur im weiteren Verlauf deutlich zunehmende Latenzen Hinweise auf ein Fortschreiten der Krankheit.
Die Häufigkeit krankhafter Befunde der SEPs bei MS liegt zu Beginn einer Erkrankung bei unter 50 Prozent und über den ganzen Verlauf bei durchschnittlich 70 Prozent (Tibialis-SEP).