Die Behandelung eines MS-Schubes stützt sich seit vielen Jahren in erster Linie auf die Gabe von beziehungsweise künstlich hergestellter (synthetischer) Kortisonpräparate, so genannten Kortikosteroiden oder kurz Kortikoiden. Kortison ist ein natürliches Hormon, das in der Nebennierenrinde gebildet wird und seinerseits sowohl die Ausschüttung des Hormons ACTH (adreno-corticotropes Hormon) in der Hypophyse (Hirnanhangsdrüse) steuert als auch von diesem gesteuert wird; es handelt sich hier um einen »hormonellen Regelkreis«.
Heute werden in der medikamentösen Akutbehandlung der MS meist hoch dosierte, intravenös zugeführte Kortikosteroide bevorzugt. Als mögliche Alternative gilt eine orale, mit Tabletten erfolgende Hochdosisbehandlung mit 500 mg Methylprednisolon einmal täglich über fünf Tage und anschließendem Ausschleichen (langsamer Dosisreduktion) über zehn Tage. Beispiele für verschiedene im Handel befindliche Wirkstoffe für eine intravenöse oder orale Anwendung und die entsprechenden HandeIsnamen sind Fluocortolon (Ultralan), Methylprednisolon (Urbason), Prednyliden (Decortilen), Prednisolon (z. B. Decortin H, Ultracortenol) , Prednison (Decortin) und Dexamethason (Decadron, Fortecortin).
Der heutige Behandlungsstandard akuter MS-Schübe besteht in der intravenösen Gabe von hohen Kortikosteroiddosen an drei bis fünf aufeinander folgenden Tagen (= Kortikosteroid-Puls). Dazu werden 500 bis 1000 mg Methylprednisolon als Kurzinfusion über etwa 60 Minuten in einem viertel Liter Zuckerlösung intravenös (in eine Vene) verabreicht. Als Schutz vor Magengeschwüren werden gleichzeitig entsprechende Medikamente verordnet, die zu einer verminderten Ausschüttung von Magensäure führen. In schweren Fällen beziehungsweise bei einer fehlenden Besserung von Schubsymptomen innerhalb von fünf Tagen kann es sinnvoll sein, die Kortikosteroidgabe auf sieben bis höchstens zehn Tage auszudehnen.
Dieses Behandlungsschema hat die früher übliche Gabe niedriger Kortikosteroidmengen (z. B. 50 bis 100 mg) als Tabletten über zwei bis drei Wochen ersetzt. Auch die lange Zeit unter der Annahme einer besseren Verträglichkeit übliche intravenöse oder intramuskuläre Gabe von ACTH wird nicht mehr empfohlen, weil die dadurch erreichbare Kortisonbildung des Körpers für eine Schubbehandlung nicht ausreicht.
Andere Entzündungs hemmende Medikamente wie Acetylsalizylsäure (ASS, z. B. Aspirin) oder die so genannten nichtsteroidalen Antirheumatika (Wirkstoffe z. B. Carprofen, Diclofenac, Fenoprofen, Ibuprofen, Indometacin, Indoprofen, Ketoprofen, Naproxen, Phenylbutazon oder Tiaprofensäure) sind in der Behandlung von MS-Schüben unwirksam.
Im Anschluss an eine hoch dosierte intravenöse Kortikosteroidbehandlung über längstens zehn Tage ist eine weitere Gabe in zunehmend niedriger Dosierung (»Ausschleichem) meist nicht erforderlich. Um sich der von der Tageszeit abhängigen körpereigenen Bildung von Kortison in derNebennierenrinde anzupassen und diese nicht vollständig zu unterdrücken, sollten Kortikoide nur morgens gegeben werden.
Die wichtigsten Wirkungen von Kortikosteroiden bestehen in einer GO Abdichtung der Blut-Hirn-Schranke,
-Abnahme von Ödemen (Wassereinlagerungen) im zentralen Nervensystem,
- Verbesserung der Leitfähigkeit von Axonen und möglicherweise auch
- Förderung der Remyelinisierung (erneuten Markscheidenbildung).
Manchmal lassen sich diese Wirkungen im Magnetresonanztomogramm
(MRT) verfolgen. So ist eine mit Ödemen einhergehende Kontrastmittelaufnahme von MS-Herden ein Zeichen eines akuten Schubes,die sich häufig unter der Behandlung zurückbilden. Allerdings hält diese Wirkung nur kurzfristig an, und manchmal zeigen sich schon eine Woche nach Beendigung einer Kortikosteroidbehandlung neue Veränderungen im MRT.
Insgesamt verkürzt und mildert eine Bebehandlung mit Kortikosteroiden die Schübe mit den entsprechenden Beschwerden und beschleunigt die nachfolgende Erholung. Der langfristige Krankheitsverlaufwird allerdings nicht beeinflusst, sodass eine länger dauernde Gabe nicht sinnvoll und wegen der dann zwangsläufig auftretenden Nebenwirkungen auch nicht möglich ist. Nach Auffassung der meisten Fachleute
sollte immer dann möglichst früh eine Kortikosteroidbehandlung eines MS-Schubs erfolgen, wenn die Beschwerden mit einer Einschränkung der so genannten Lebensqualität einhergehen. Unter Lebensqualität werden ganz verschiedene Dinge wie die körperliche Gesundheit (das Fehlen oder Vorhandensein von Beschwerden und Krankheitszeichen), Alltagstätigkeiten wie die Mobilität oder das allgemeine Alktivitätsniveau sowiepsychische Vorgänge (wie z. B. Gefühle, Wahrnehmen, Erkennen, Denken, Zufriedenheit oder Wohlbefinden) und schließlich soziale und zwischenmenschliche Kontakte, die Wohn- und Arbeitssituation, das Ausmaß der Unabhängigkeit oder die Fahrtauglichkeit zusammengefasst. Eine hoch dosierte Kortikosteroid-Pulsbehandlung kann bei Bedarfauch innerhalb eines Jahres mehrfach wiederholt werden. Bei hoher Schubfrequenz ist aber immer eine zusätzliche Langzeitbehandlung mit anderen Medikamenten sinnvoll