Wenngleich verschiedene Medikamente zur Langzeitbehandlung der MS zur Verfügung stehen und zahlreiche Fragen noch offen sind, besteht für viele Situationen Übereinstimmung, wann und wie man sie anwenden sollte. Dies schließt nicht aus, dass man in Einzelfällen mit Verlaufsbesonderheiten davon abweicht.
Nach einem erstmals 1999 veröffentlichten und zuletzt 2001 aktualisierten, auf den Ergebnissen internationaler Studien beruhenden Vorschlag einer Gruppe deutschsprachiger MS-Fachleute wird bei der MS ein möglichst frühzeitiger Behandlungsbeginn mit Immunmodulatoren oder Immunsuppressiva empfohlen. Für einen frühen Behandlungsbeginn sprechen im Wesentlichen zwei Argumente:Erstens 
haben die bisherigen Untersuchungen gezeigt, dass der Erfolg um so besser war, je kürzer die Erkrankungsdauer war. Dies erklärt sich durch die besonderen Reaktionen des Abwehrsystems in der Frühphase einer MS.Je länger die Erkrankung besteht und je fortgeschrittener sie ist, um so schwieriger ist es, überhaupt noch einen Effekt nachzuweisen.
Zweitens
sind inzwischen die frühzeitigen axonalen Schädigungen gut bekannt, die der Organismus nicht mehr reparieren kann. Diese Entwicklung kann nur dann verhindert werden, wenn man den Entzündungsprozess frühzeitig stoppt.
Unter folgenden Bedingungen wird heute eine Langzeitbehandlung empfohlen:
- Klinisch sichere MS vom schubförmigen Verlaufstyp anhand der PoserKriterien sowie typische Befunde im Liquor (mit Nachweis einer intrathekalen Bildung von Immunglobulin G oder oligoklonaler Banden von Immunglobulin G) und typische Befunde in der Magnetresonanztomographie.
-Aktiver Krankheitsverlauf mit mindestens zwei bedeutsamen(in der Fachsprache: funktionell relevanten) Schüben in den letzten beiden Jahren oder Auftreten eines schweren Krankheitsschubes mit schlechter Rückbildungstendenz (in der Fachsprache: Remission).
Erhaltene Gehfähigkeit - auch mit Hilfsmitteln (bei schubförmigem Verlauf).
Möglichkeit und Bereitschaft, eine wirksame Schwangerschaftsverhütung durchzuführen.
Besondere Aufmerksamkeit hat in den letzten Jahren die »Frühbehandlung« einer MS gefunden. Eine solche Situation ergibt sich, wenn ein Patient erstmals neurologisch erkrankt und es sich nach den Untersuchungsergebnissen mit großer Wahrscheinlichkeit um eine beginnende MS handelt. Durch eine Behandlung mit Interferon-beta kann die Zeit bis zum Auftreten eines zweiten Schubs hinausgeschoben werden, sodass die Zahl der Patienten, die erneut erkranken, zumindest innerhalb eines begrenzten Zeitraums vermindert wird. Obwohl der Unterschied zur Plazebobehandlung in entsprechenden Untersuchungen dabei eindrucksvoll war, bedeutet dies keineswegs, dass hierdurch eine Heilung der Erkrankung eintreten würde.
Deshalb ist bei diesen Patienten die Entscheidung besonders schwer, ob man schon möglichst früh mit einer einschneidenden Langzeittherapie beginnen oder erst den weiteren Verlauf abwarten soll. Es müssen dann alle Untersuchungs ergebnisse sorgfältig bewertet werden, die mögliche Hinweise auf die weitere Entwicklung der Erkrankung geben können.
Darüber hinaus hat sich inzwischen gezeigt, dass die Gabe von Interferon-beta auch hilft, eine sich nach MS-Schüben einstellende schleichende Verschlechterung aufzuhalten oder zu verlangsamen. Weitere Forschungsergebnisse und klinische Erfahrungen werden in Zukunft zeigen, ob auch Patienten mit einem von Anfang an schleichenden (primär chronisch-progredientem) Verlauf profitieren. Auch weiß man noch nicht genau, ob man bei einem Versagen der Behandlung höhere Dosen von Interferon-beta geben soll, oder welches andere Medikament in dieser Situation dann besser wirksam ist.
Kommt es unter Interferon-beta nicht zum gewünschten Effekt, so wird zurzeit meist eine Umstellung auf Mitoxantron empfohlen. Wenn unter einer solchen Langzeittherapie mit Interferon-beta oder Glatirameracetat ein Schub mit hoch dosierten Kortikoiden behandelt wird, sollten die Langzeitmedikamente während dieser Zeit nicht abgesetzt werden.
Grundsätzlich möchten wir vor übertriebenen Erwartungen an eine Langzeittherapie der MS warnen, auch mit Interferon-beta und GlatiraIneracetat. Es gibt nach wie vor kein »Wundermittel«, und auch unter diesen Medikamenten fühlen sich die meisten Betroffenen nicht besser, obwohl sich viele dies zumindest anfänglich erhofft haben. Behandlungserfolge sind »statistisch« und geben nur an, wie eine große Gruppe von Patienten im Durchschnitt im Vergleich zu einer unbehandelten Gruppe auf die Behandlung anspricht.
Ob die Therapie bei einem Einzelnen in der gleichen Weise wirksam ist, kann nicht vorhergesagt werden. Einigen Betroffenen geht es unter einer Langzeittherapie sehr gut, während andere unter der gleichen Behandlung neue Krankheitserscheinungen entwickeln. Da eine MS die Betroffenen oft lebenslang mit unterschiedlicher Aktivität begleitet, sollte man sorgfältig abwägen, wann eine Langzeitbehandlung günstig ist. Bei manchen leichten Verläufen werden solche Medikamente nie benötigt und bei schon sehr weit fortgeschrittenen Krankheitserscheinungen sind sie unter Umständen nicht mehr sinnvoll.
Auch die Hoffnung, durch eine frühe Behandlung MS-verdächtiger Symptome mit Interferon-beta den Übergang in eine sichere MS verhindern zu können, hat sich nicht im gewünschten Umfang bestätigt.
Durch die neuen Medikamente ist die Langzeitbehandlung einer MS nicht zuletzt sehr teuer geworden. Sowohl eine Behandlung mit Interferon-beta-lb und -la als auch mit Glatirameracetat oder Immunglobulinen kostet derzeit pro Monat zwischen 1000 und 1500 EURO . Im Vergleich dazu liegen die monatlichen Behandlungskosten für die älteren Medikamente bei 100 bis 150 EURO. Auch die hohen Kosten erfordern eine strenge Indikationsstellung.