Es ist ein alter Grundsatz der Arzneimittellehre, dass alle Medikamente mit einer nachgewiesenen Wirkung auch unerwünschte Effekte beziehungsweise Nebenwirkungen haben können. Hier sollen nicht alle denkbaren beziehungsweise beobachteten Nebenwirkungen der verschiedenen Medikamente genannt werden (Über diese kann man sich anhand der Beipackzettel in den Medikamentenpackungen informieren), sondern es soll nur auf die erfahrungsgemäß häufigsten Probleme hingewiesen werden. Die meisten Patienten entwickeln unter den Medikamenten keine oder zumindest keine schweren Nebenwirkungen.

Kortikoide: Viele der landläufig bekannten Nebenwirkungen treten praktisch nur bei monate- oder jahrelanger Anwendung auf. In der Schubbehandlung einer MS werden zwar hohe Dosen verabreicht, aber nur für kurze Zeit. Dies kann zu einem leichten Zittern (innere Unruhe), rotem Gesicht, Appetitsteigerung, Kopfschmerzen und Schlafstörungen führen.
Seltene, aber unter Umständen bedrohliche Nebenwirkungen können inallergischen Erscheinungen, Psychosen, Bauchspeicheldrüsentzündungen (Pankreatitis) sowie – bei bekanntem hohem Blutdruck – in Blutdruckkrisen bestehen. Vor jeder Kortikosteroidbehandlung sollte auch eine aktive bakterielle oder virale Entzündung ausgeschlossen werden.
Gegen einen unangenehmen Geschmack während einer Infusion kann das Lutschen eines Bonbons helfen und zur Verminderung des Risikos der Ausbildung eines Magengeschwürs werden an den Infusionstagen Medikamente gegeben, die die Bildung von Magensäure vermindern.
Eine Erhöhung des Blutzuckerspiegels tritt nur bei Menschen auf, die ohnehin schon zur Zuckerkrankheit neigen. Besteht diese schon, so ist jedoch besondere Vorsicht geboten (ein Diabetes mellitus kann entgleisen).
Eine Wassereinlagerung mit Gewichtszunahme ist extrem selten. Auch andere Nebenwirkungen wie Magen-Darm-Blutungen (erhöhtes Risiko bei früherem Geschwür), erhöhter Blut- und Augeninnendruck werden nur bei länger dauernder Einnahme beobachtet.
Kommt es einmal zu unerwünschten Wirkungen während der Behandlung eines MS-Schubes, so bilden sich diese in aller Regel nach Beendigung der Therapie wieder zurück. Außer einer entsprechenden Überwachung empfiehlt sich unter einer Kortikosteroidtherapie die Einhaltung einer salz- und zuckerarmen Diät.

Interferone-beta-1a und -1b: Auch die Interferon-beta-Präparate können Nebenwirkungen haben, die allerdings meist vorübergehend sind und bei 90 Prozent nur zu Beginn der Behandlung (maximal im ersten halben Jahr) auftreten. An erster Stelle stehen Rötungen und Entzündungen der Haut an der Einstichstelle, gefolgt von grippe-artigen Beschwerden wie Fieber, Abgeschlagenheit, Kopf- und Gliederschmerzen, die durch eine Injektion am Abend oder die vorherige Gabe von einfachen Grippemitteln (wie Paracetamol oder Ibuprofen) gemildert werden können.
Darüber hinaus sind auch Veränderungen der Leberenzyme und der weißen Blutkörperchen möglich. Diese Nebenwirkungen können so schwer sein, dass die Behandlung bei einzelnen Patienten nicht fortgesetzt werden kann.
Nachdem sich in den ersten Studien mit Interferon-beta eine Zunahme von Depressionen gezeigt hatte, dürfen Betroffene, die schon einmal einen Suizidversuch hinter sich haben oder an einer schweren Depression litten, nicht mit Interferon-beta behandelt werden. Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um eine reine Vorsichtsmaßnahme, da solche Komplikationen in den letzten Jahren bei weitaus mehr behandelten Patienten nicht mehr gehäuft beobachtet wurden. Dennoch wird vorsichtshalber bei schweren Depressionen oder einer bestehenden Selbsttötungsneigung von einer Interferonbehandlung abgeraten.
Für großen Wirbel sorgte der Nachweis von Antikörpern im Blut, die bei ungefähr jedem dritten Betroffenen innerhalb eines Jahres zumindest unter Interferonbeta-l b nachgewiesen werden konnten. Man befürchtete zunächst, dass diese Eiweiße im Blut zu einem Wirkungsverlust führen könnten. Inzwischen geht man jedoch davon aus, dass dies wahrscheinlich keine Rolle spielt und ausschließlich der klinische Effekt der Behandlung entscheidend ist.
Ernsthafte Langzeitnebenwirkungen wie eine erhöhte Krebshäufigkeit sind bislang nicht bekannt. Viele Nebenwirkungen der Interferone lassen sich durch eine Patientenschulung und Therapiebegleitung (wozu manchmal auch speziell geschulte Krankenschwestern zur Verfügung stehen) verringern oder völlig vermeiden.

Glatirameracetalt (Handelsname: Copaxone): Auch bei dieser Substanz sind Hautreaktionen an der Einstichstelle und Grippe ähnliche Beschwerden die häufigsten Nebenwirkungen.
Daneben kann es als allergische Überempfindlichkeitsreaktion nach einer Injektion zu vorübergehenden Allgemeinerscheinungen mitAngstgefühl, Engegefühl in der Brust mit Herzrasen und Luftnot sowie einer Sekunden bis Minuten dauernden Gesichtsrötung kommen; etwa drei Prozent der Behandelten brechen die Therapie deswegen vorzeitig ab. Schließlich kommt es auch unter Glatirameracetat zur Bildung von Antikörpern.
Immunglobuline werden im Allgemeinen gut vertragen. Allergische Reaktionen mit Hautausschlag, Fieber und Muskelschmerzen können allerdings gelegentlich auftreten und in seltenen Fällen können sich Blutgerinnsel bilden. Schließlich besteht trotz immer besserer Überwachungsmethoden die Gefahr der Übertragung von Infektionskrankheiten wie AIDS oder Hepatitis C.
Azathioprin (Handelsname z. B. Imurek) führt zu einer für die MS-Behandlung erwünschten Verminderung der weißen Blutkörperchen(Leukozyten), wobei für die Gesamtzahl Werte von unter 3500 pro Kubikmillimeter Blut und für die Untergruppe der Lymphozyten 600 bis 1200 pro Kubikmillimeter Blut angestrebt werden. Um einen zu starken Abfall nicht zu übersehen, werden regelmäßige Blutbildkontrollen empfohlen, zu Beginn wöchentlich, danach monatlich. Sind die Veränderungen zu stark ausgeprägt, muss die Dosis reduziert oder das Medikament abgesetzt werden.
Andere mögliche Nebenwirkungen bestehen unter anderem in Übelkeit, Brechreiz, Leberschäden sowie einer Zunahme von Infektanfälligkeit.Da Azathioprin in Tierversuchen mit einer erhöhten Missbildungsrateeinhergeht, ist sowohl für Frauen als auch für Männer unter der Einnahme eine zuverlässige Empfängnisverhütungsmethode erforderlich. Erst nach über zehnjähriger Einnahme ergeben sich Hinweise auf ein erhöhtes Krebsrisiko.

Mitoxantron (Handelsname z. B. Novantron) schädigt in hohen Dosen den Herzmuskel. Aus diesem Grunde ist die Gesamtmenge begrenzt, die zur MS-Behandlung eingesetzt werden darf und reicht für eine Behandlung über etwa zwei bis drei jahre aus. Weil dosis abhängige Nebenwirkungen am Herzen (neben Rhythmusstörungen auch Herzmuskelstörungen und Herzinsuffizienz) möglich sind, muss vor Behandlungsbeginn und darunter in halbjährlichen Abständen mittels EKG und Ultraschall die Herzmuskelfunktion überprüft werden. Einige Patienten klagen nach der Einnahme über Übelkeit, wogegen die vorübergehende Gabe von Medikamenten gegen Brechreiz hilft. Wie bei allen Medikamenten, die das Immunsystem unterdrücken, kommt es zu Veränderungen des Blutbildes, die durch entsprechende Laboruntersuchungen vom Arzt überwacht werden.

Cyclophosphamid (Handels name z.B. Endoxan): Insbesondere kann es bei hoch dosierter Gabe zu Übelkeit, Brechreiz, Haarausfall, Sterilität und blutigen Blasenentzündungen kommen. Außerdem ist die Möglichkeit von Blutbildveränderungen, das Risiko einer vermehrten Infektanfälligkeit sowie die Gefahr einer erhöhten Rate von bösartigen Krankheiten insbesondere im Harnwegsbereich gegeben.
Methotrexat (Handelsname z. B. Lantarel): Unter diesem Medikament kommt es bei jeweils zehn Prozent der Betroffenen zu Übelkeit und Durchfall und bei bis zu drei Prozent zuMundschleimhautentzündungen. Weil es daneben zu schweren Schädigungen des Knochenmarks und der Leber kommen kann, sind regelmäßige Laborkontrollen erforderlich.

Baclofen (Handelsname z. B. Lioresal): Mögliche Nebenwirkungen sindVerwirrung, Müdigkeit und ein Gefühl der vermehrten Muskelschwäche.Letzteres ist besonders der Fall, wenn bei Lähmungserscheinungen der Beine eine erhöhte Muskelspannung (Spastik) zum Stehen und Gehen notwendig ist.

Benzodiazepine (Handelsnamen z. B. Valium, Musaril): Die Hauptbedenken gegen eine Langzeiteinnahme bestehen in der Gefahr einer Abhängigkeitsentstehung. Andererseits scheint dieses Risiko bei körperlichen Krankheiten im Vergleich zu einer Einnahme wegen psychischer Probleme deutlich geringer zu sein. Darüber hinaus bewirken alle Benzodiazepine je nach eingenommener Dosis einevermehrte Müdigkeit. Werden Benzodiazepine zur Behandlung der Spastik eingesetzt, so ergeben sich dieselben Probleme wie bei der Einnahme von Baclofen.

Dantrolen (Handelsname: Dantamacrin): Manchmal kann es zu einervermehrten Muskelschwäche kommen (siehe auch Baclofen und Benzodiazepine), daneben sind wegen einer möglichenLeberschädigung entsprechende Laborkontrollen erforderlich.

Memantin (Handelsname: Akatinol Memantine): Dosisabhängig sind u.a. Schwindel, Unruhe sowie Müdigkeit und Kopfdruck möglich. Wegen möglicher Schlafstörungen auf grund von Unruhe- und Erregungszuständen sollte keine Gabe nach 16 Uhr mehr erfolgen.

Tizanidin (Handelsname: Sirdalud): Unter Tizanidin-Einnahme mögliche Nebenwirkungen bestehen in erster Linie in Müdigkeit, Schwächegefühl, Schwindel, Mundtrockenheit und Magen-Darm-Beschwerden. Im Vergleich zu Baclofen tritt ein Schwächegefühl seltener, Müdigkeit hingegen häufiger auf.

Pemolin (Handelsnamen: Senior 20, Tradon) kann unter anderem zuPulsbeschleunigung, Schlaflosigkeit, vermehrter Nervosität, Appetitlosigkeit, Magen-Darm-Störungen und Gewichtsverlust führen. Bei eingeschränkter Leberfunktion darf das Medikament nicht eingenommen werden.