Lange Zeit herrschte bezüglich Impfungen bei MS eine große Unsicherheit, weil das entsprechende Wissen mehr oder weniger nur auf Einzelbeobachtungen beruhte und recht lückenhaft war. Inzwischen habenmehrere sorgfaltige Untersuchungen eindeutig nachweisen können, dasserforderliche beziehungsweise sinnvolle Impfungen bei MS bis auf wenige Ausnahmen problemlos erfolgen können. Vorsichtshalber sollte allerdings nicht während eines Schubes oder einer akuten Verschlechterunggeimpft werden. Auch unter immunsuppressiver Behandlung ist Zurückhaltung angebracht, weil einerseits der Impferfolg unsicher ist und andererseits mit einer Häufung von Nebenwirkungen gerechnet werden muss
Impfungen werden aus zweierlei Gründen durchgeführt. Zum einen sollen Häufungen (»Epidemien«) von schweren Viruserkrankungen verhindert werden, für die es keine Therapie gibt. Hierzu gehören Pocken und Kinderlähmung (Polio). Zum anderen können Impfungen den einzelnen Menschen vor schweren, nicht behandelbaren Erkrankungen schützen,ohne dass diese jedoch epidemisch auftreten. Hierzu gehören Wundstarrkrampf (Tetanus), Röteln, Tollwut, Hepatitis B und Gelbfieber. Das
Risiko schwer wiegender Nebenwirkungen am Nervensystem ist bei den einzelnen Impfungen unterschiedlich groß. Pockenschutzimpfungen,die ein besonderes Risiko beinhalten, werden heute weltweit nicht mehr durchgeführt, da dieses Virus und damit die Pockenkrankheit als ausgerottet gelten.
Bei einer Impfung gegen Polio (Kinderlähmung) sind einige Besonderheiten zu beachten. Nachdem die Zahl der Impfpoliofcalle inzwischen die der Wildpoliofalle überschreitet, wird eine Impfung mit Lebendimpfung inzwischen selbst bei gesunden Kindern infrage gestellt, auch wenn eine amerikanische Expertenkommission keinen eindeutigen beziehungsweise überzufalligen Zusammenhang mit gelegentlich beobachteten MS-Erkrankungen sah. Wir raten bei einer MS weiterhin von einer Poliolebendimpfung ab, zumindest dann, wenn kein Risiko besteht, dass Betroffene
mit lebendgeimpften Personen (z. B. den eigenen Kindern) in Kontakt kommen. Als Alternative steht bei Bedarf die Impfung mit einem Totimpfstoff zur Verfügung. Auch bei der Impfung gegen Frühsommer Die Tollwutimpfung mit den modemen Impfstoffen gilt als nebenwirkungsarm. Da eine einmal ausgebrochene Tollwut-Erkrankung immer zum Tode führt, muss im Verdachtsfall stets auch bei MS-Patienten
geimpft werden. Alle anderen Impfungen, vor allem Tetanus, Röteln, Hepatitis Bund Grippeschutzimpfungen, können ohne das Risiko einer Schubauslösung durchgeführt werden.
Rein zahlenmäßig spielen Grippeimpfungen wahrscheinlich die wichtigste Rolle. Vor wenigen Jahren wurden dazu aus den USA die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie bei über 100 MS-Betroffenen mit schubförmigem Verlauf vorgelegt, von denen die Hälfte unter doppelblinden Bedingungen entweder tatsächlich geimpft wurden oder eine Scheinimpfung (= Plazebo) erhalten hatten. Innerhalb des nächsten Halbjahres gab es weder bei der Häufigkeit neuer Schübe noch bei sonstigen Krankheitsmerkmalen Unterschiede zwischen den beiden Gruppen, was die Unbedenklichkeit einer Grippeimpfung untermauert.
Wie bereits erwähnt, sollten Impfungen von MS-Patienten möglichst in einer stabilen Krankheitsphase außerhalb eines Schubes erfolgen, am besten in einer Zeit, in der keine Medikamente eingenommen werden, die das Abwehrsystem schwächen. Diese Einschränkung gilt aber beispielsweise nicht für die heute üblichen Grippeschutzimpfungen, die jederzeit und auch unter immunsuppressiver Medikation durchgeführt werden können.