Eine MS ist kein Grund, generell auf Kinder zu verzichten. Die Verantwortung für eine Schwangerschaft liegt wie bei Gesunden letztlich bei der Frau und ihrem Partner. Ein ärztlicherseits lange Zeit übliches grundsätzliches Abraten und Empfehlen einer frühzeitigen Sterilisation oder einer Schwangerschaftsunterbrechung bei ungewollter Schwangerschaft ist heute nicht mehr angemessen. In den letzten jahren wurden sogar Untersuchungen veröffentlicht, nach denen Schwangerschaften bei einer MS zum Beispiel das Risiko des Übergangs in eine progrediente Verlaufsform verringern sollen.
Ein Kinderwunsch in einer Partnerschaft ist eine persönliche Entscheidung, bei der eine MS nur einer von vielen zu berücksichtigenden Faktoren ist. Ein nicht erfüllter Kinderwunsch kann für eine Partnerbeziehung eine schwere psychische Belastung sein. Umgekehrt kann eine gestörte Beziehung durch ein Kind nicht in eine intakte verwandelt werden, und ein Kind sollte auch nicht die (unbewusste) Funktion haben, einen Partner an sich zu binden.
In jedem Fall sollte eine Schwangerschaft sorgfältig geplant sein und in der Regel nur einer stabilen Partnerbeziehung entspringen. Dabei muss auch immer an die Möglichkeit eines ungünstigen MS-Verlaufs mit zunehmenden, die Versorgung von Kindern erschwerenden Behinderungen einschließlich der Frage gedacht werden, was es für ein Kind bedeuten kann, mit einem kranken Elternteil aufzuwachsen. Kann das Kind weiter versorgt werden, wenn die Mutter oder der Vater durch eventuelle Behinderungen in ihrer Familienrolle beeinträchtigt wird? Insofern muss auch der gesunde Partner des MS-Betroffenen bei dieser Entscheidung
einbezogen werden. Für allein erziehende Mütter oder Väter ergeben sich besondere Probleme, wenn sie nicht auf die Unterstützung von Eltern, Geschwistern oder Freunden zurückgreifen können. Die Absicht einer Lebensplanung mit den zusätzlichen Belastungen durch die Erziehung eines Kindes sollte man dann immer besonders sorgfältig abwägen.
Die meisten Frauen mit einer MS haben während einer Schwangerschaft keine besonderen Probleme; in den letzten drei Monaten liegt die Schubrate statistisch sogar 30 bis 50 Prozent unter derjenigen nichtschwangerer Frauen mit MS. Es ist allerdings bekannt, dass MS-kranke Schwangere eine erhöhte Empfindlichkeit für andere gesundheitliche Störungen einschließlich Fatigue, Verstopfung und Harnwegsinfekten haben können. Mögliche Vorsichts maßnahmen bestehen in der Einnahme von Substanzen, die den Stuhl weich halten und so einer Verstopfungsneigung entgegenwirken, oder dem regelmäßigen Anlegen von Urinkulturen zur Erkennung möglicher Infektionen.
Bei der Geburt selbst sind für Frauen mit einer MS in der Regel keine Besonderheiten zu beachten. Manche Frauenärzte empfehlen zur Schmerzreduktion unter der Geburt die Gabe von Narkotika; üblicherweise werden wie bei anderen Frauen auch epidurale Anästhesien durchgeführt, ausnahmsweise auch Vollnarkosen. Betroffene Frauen mit einer fortgeschrittenen MS beziehungsweise mit ausgeprägten Gefühlsstörungen oder Lähmungen können besonders in der Spätschwangerschaft einer besonders intensiven Überwachung bedürfen, weil sie beispielsweise das Einsetzen der Wehen nicht ohne weiteres bemerken.
In den sechs bis zwölf Monaten nach der Geburt eines Kindes kommt es dann zwar häufiger zu einer erhöhten Schubrate oder Beschwerdezunahme, der weitere Verlauf einer MS wird durch eine Schwangerschaft aber nicht nachteilig beeinflusst, und nach mehreren jahren sind MS-betroffene Frauen mit Kindern nicht stärker behindert als Frauen ohne Kinder. Ausreichend Ruhe und das Vermeiden von fieberhaften Infekten und übermäßigem Stress stellen möglicherweise einen gewissen Schutz vor einer erhöhten Schubrate nach der Geburt dar.
Ob eine Mutter mit MS ihr Kind stillen kann, hängt von den Besonderheiten jedes Einzelfalls ab. Für manche Frauen stellt dies eine belastende und damit ungünstige Anstrengung dar, andere nehmen Medikamente ein, bei denen nicht zu einem Stillen geraten wird (zum Beispiel bei immunmodulatorischen Therapien). Alles in allem gibt es aber keine Argumente, Müttern mit einer MS generell vom Stillen abzuraten. Es empfiehlt sich, diese Frage schon möglichst früh vor oder zu Beginn einer Schwangerschaft mit dem behandelnden Neurologen und Frauenarzt zu besprechen.
ist während einer Schwangerschaft wegen einer akuten Verschlechterung eine medikamentöse Behandlung erforderlich, werden Kortikoide eingesetzt. In den ersten drei Monaten einer Schwangerschaft sollten allerdings auch Kortikoide streng gemieden und später nur in der niedrigstmöglichen Dosis eingenommen werden. Eine Langzeitbehandlung mit Immunsuppressiva darf bei einer geplanten Schwangerschaft nicht bestehen und sollte wegen der Möglichkeit kindlicher Missbildungen mindestens sechs Monate vorher abgesetzt werden. Auch bei einer Behandlung mit Interferon-beta gilt eine geplante Schwangerschaft als Kontraindikation (Gegenanzeige), wenngleich eine Behandlung bei dennoch eingetretener Schwangerschaft kein Grund für eine Unterbrechung ist. Ob die vorsorgliche Gabe von intravenösen Immunglobulinen bei Frauen mit MS kurz nach der Entbindung sinnvoll ist, erscheint nach ersten kleineren Untersuchungen möglich, muss aber noch durch größere Studien eindeutig geklärt werden.
Bei einer ungewollten Schwangerschaft unter Einnahme dieser Medikamente besteht also dennoch kein Anlass zur Panik. Das Missbildungsrisiko ist nicht so hoch, dass in jedem Fall eine Schwangerschaftsunterbrechung erforderlich wäre. Sofern ein Schwangerschaftsabbruch in Erwägung gezogen wird, kann die Frage einer Missbildung durch eine Ultraschall- und Fruchtwasseruntersuchung frühzeitig geklärt werden.
Eine große Studie bei Schwangeren mit MS in Europa konnte zeigen, dass die Fehlbildungs- und Abortrate nicht höher ist als bei gesunden Frauen. Auch das Geburtsgewicht der Kinder und ihre weitere Entwicklung waren normal. Auf das kindliche Risiko, später selbst an einer MS zu erkranken, wurde bereits ausführlich eingegangen. Es liegt für Jungen bei etwa einem Prozent und für Mädchen bei etwa fünf Prozent. Obwohl MS keine eigentliche Erbkrankheit ist, spielen genetische Faktoren bei manchen Betroffenen offenbar eine Rolle.
Auch für männliche MS-Betroffene ist die Frage von Kindern eine wichtige Entscheidung. Wenn sie Alleinverdiener sind, müssen sie die Möglich
keit beruflicher Schwierigkeiten mit daraus erwachsenden Versorgungsproblemen der Familie ebenso bedenken wie etwa die Möglichkeit eines späteren Verlustes der Zeugungsfähigkeit, der dann jeden Kinderwunsch zunichte machen kann.
Unabhängig von der persönlichen Entscheidung sollte eine Schwangerschaft nur in einer stabilen Krankheitsphase geplant werden und nicht im Anschluss an einen gerade durchgemachten Schub. Wenn deutliche Ausfallserscheinungen bestehen, sind noch sorgfältigere Überlegungen erforderlich. Körperliche und psychische Belastungen einer Schwangerschaft müssen vor dem Hintergrund einer möglichen Behinderung gesehen werden.
Hinterlassen Sie einen Kommentar
You must be logged in to post a comment.